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Kõned

Dankesworte zur Verleihung des Ehrendoktors der Theologie durch die Universität Freiburg

4. Mai 2007

Exzellenzen, sehr geehrter Herr Prorektor, Spectabilis, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich betrachte die Ehrendoktorwürde der Freiburger Theologischen Fakultät als eine große Ehre, die gerade für einen Musiker etwas ganz Besonderes und Außergewöhnliches ist. Abgesehen von meinem Gefühl, dieser Auszeichnung nicht würdig zu sein, bin ich doch sehr glücklich zu erkennen, dass der innerste Impuls meiner musikalischen Bemühungen so deutlich gelesen und bewertet worden ist, wofür ich Ihnen meinen allerherzlichsten Dank aussprechen möchte. Dieser gilt besonders dem Dekan, Herrn Professor Dr. Helmut Hoping, dem Herrn Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, den Herren Weihbischöfen Prof. Dr. Paul Wehrle und Dr. Bernd Uhl sowie dem Philharmonischen Orchester und der Domkapelle und dem Herrn Domkapellmeister Boris Böhmann.

Fühle ich mich jetzt als Theologe? … Das glaube ich nicht.
Fühle ich mich als Doktor? … Nein, natürlich auch nicht.
Wann ist ein Mensch überhaupt ein Theologe? …
Auch das weiß ich nicht.

Sie werden mir verzeihen, wenn ich sage, dass ich nicht in der Lage bin, über Gott zu sprechen oder theoretisieren, auch jetzt als frischer Theologe nicht. Eher wünschte ich mir ein Leben mit IHM. Nun, was könnte das heißen, „Leben mit Gott“? Es mag einfach klingen, doch wer von uns kann schon sagen, dass er das auch verwirklichen kann? In meinem Fall ist dieses Leben etwas ganz Konkretes und in erster Linie eine Welt des Klanges, denn auch die Musik ist ein Lebewesen und eine Sprache, die zu einem „lebendigen Wort“ werden kann. Wenn wir sagen, dass Gott dafür da ist, um „mit IHM“ zu leben, dann bedeutet das für mich, Gott durch Musik zu erleben. Für einen Künstler ist es eine immense Herausforderung, dies anzustreben.

Vor etwa 30 Jahren war ich soweit, aus lauter Verzweiflung jedem Menschen die Frage zu stellen, wie ein Komponist Musik schreiben soll und einmal traf ich einen Straßenkehrer, der mir eine erstaunliche Antwort gab: „Oh“ sagte er, „der Komponist muss wahrscheinlich jeden einzelnen Ton lieben“.
Das war ein Wendepunkt. Von dieser Selbstverständlichkeit war meine nach Gott dürstende Seele völlig überrascht. Von nun an gingen meine musikalischen Gedanken in eine ganz neue Richtung. Es war nichts mehr so, wie es vorher war.
Aber wer war dieser geheimnisvolle Straßenkehrer? …
Falls er ein Theologe war, möchte ich auch ein solcher sein.

Jetzt aber möchte ich Sie von der Musik ablenken und eine kleine mir sehr ans Herz gewachsene frühchristliche Geschichte erzählen, die Leo Tolstoi aufgeschrieben hat. Ich bin sicher, dass viele von Ihnen sie kennen, aber weil nicht alle in diesem Saal Theologen sind, erlaube ich mir hier eine Kurzfassung davon noch einmal vorzutragen.

* * *

Eines Tages segelte ein Bischof über das Meer. Durch ein nächtliches Unwetter wurde er auf eine Insel verschlagen und wusste nicht, wo er sich befand. Als er sich am nächsten Morgen auf die Suche nach einer menschlichen Seele begab, stieß er auf eine kleine Erdhütte und es standen drei Greise vor ihm. Einer, riesengroß, war ganz nackt, nur eine Schürze aus Bast hatte er um die Hüften, der kleinere war mit einem Fetzen bekleidet, und der dritte, uralt und gebückt, trug eine zerschlissene Kutte.

Tief verbeugten sich die Greise vor dem Bischof, und er segnete sie, sie neigten sich noch tiefer, als der Bischof sie anredete:

„Saget mir, was ihr für das Heil eurer Seele tut und wie ihr zu Gott betet“.

Der uralte, kleine Greis lächelte nur und sagte:
„O Knecht Gottes, wir wissen nicht, wie wir Gott dienen sollen, nur uns selbst dienen wir.“
„Und wie betet ihr zu Gott?“
„So beten wir: Ihr seid drei, wir sind drei, erbarmt euch unser drei!“
Und kaum hatte der uralte Greis diese Worte gesagt, da erhoben alle drei ihre Augen gen Himmel und sprachen wie aus einem Munde:
„Ihr seid drei, wir sind drei, erbarmt euch unser drei!“

Da glitt ein Lächeln über das Gesicht des Bischofs, als er sagte:
„Von der Heiligen Dreieinigkeit habt ihr also gehört, doch betet ihr nicht so, wie es sich gehört. Ich sehe auch, dass ihr nicht wisset, wie ihr ihm dienen sollt. Anders müsst ihr beten. Hört mir zu, ich will es euch lehren!

Und der Bischof sprach die Worte des Gebetes unseres Herrn und sagte: „Vater unser.“ Und alle wiederholten: „Vater unser.“
„Der du bist im Himmel.“ – Die Greise antworteten: „Der du bist im Himmel“.

So wiederholte dann der Bischof den Anfang des Gebetes noch einmal, und noch einmal sprachen die Greise ihm die Worte nach. Den ganzen Tag mühte sich der Bischof, hundertmal sagte er ein Wort her, und die Greise sprachen es ihm nach. Er verließ sie nicht, bevor sie das Gebet des Herrn gelernt hatten und auch ohne seine Hilfe hersagen konnten.

Dann bestieg er das Boot und verließ die Insel. Und die ganze Zeit über hörte der Bischof, wie die Greise mit lauten Stimmen beteten. Eine ganze Weile sah er noch die Greise, dann entschwanden sie aus seiner Sicht.

Tief in Gedanken versunken blieb der Bischof an Deck und ließ den Blick nicht von der Stelle, wo das Inselchen ins Meer versunken war.

Da begann es vor seinen Augen zu flimmern und plötzlich sah er: Etwas Weißes schimmert im Mondeslicht.
Einem Menschen sah es ähnlich. Eine seltsame Unruhe erfasste den Bischof, da sah er: Die drei Greise waren es! Sie liefen auf den Wellen, ihre Haare blinkten weiß und schimmerten.

Der Rudersmann blickte sich um, der Schrecken packet ihn und er ließ das Ruder fahren:

„Du lieber Herre Gott, die Greise kommen hinter uns her, laufen auf dem Wasser wie auf trocknem Land!“

Und alle sahen sie nun: Die Greise liefen auf das Schiff zu, sie hielten sich an den Händen, und der rechte und der linke winkten mit dem freien Arm, man solle das Schiff anhalten.
Noch konnte man das Schiff nicht zum Stehen bringen, da kamen sie dicht an Deck heran und sprachen wie aus einem Munde:

„Wir haben es wieder vergessen, o Knecht Gottes, wir wissen es nicht mehr, was du uns gelehrt hast. Solange wir dein Gebet wiederholten, wussten wir es noch, kaum aber haben wir eine Stunde lang nicht gebetet, da sprang ein Wort aus unseren Köpfen und alles fiel zusammen. Nichts wissen wir mehr, lehre uns von neuem, wie wir beten sollen.“

Da schlug der Bischof ein Kreuz, beugte sich vom Deck herab zu den Alten und sprach: „Auch so erreichen eure Gebete Gott, ihr frommen Greise! Nicht mir steht es an, euch zu lehren. Betet für uns sündige Menschen!“
Und der Bischof fiel vor den Greisen nieder. Die Greise aber blieben stehen, wandten sich dann um und gingen über das Meer zurück.

* * *

Ja … so eine Geschichte.
Und wieder: Wann ist der Mensch ein Theologe…?
Wissen wir das?
Ich glaube, die drei frommen Greise und der Bischof waren es…

* * *

Das alles klingt wie ein schönes Märchen. Es fehlt nur der Satz „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“ – (Hand über Augen, durch den Saal schauend) – den Bischof sehe ich, er ist da. Die Drei dürften vielleicht auch da sein, obwohl sie vermutlich viel jünger aussehen. Das macht aber nichts.
Auch Kinder können ihre eigenen, verborgenen Gebete haben. Und der liebevolle Bischof weiß das. Vielleicht können wir hören, was sie zu sagen haben. Bitte kommen Sie doch zu mir, Valentin, Till, Friedrich, kommen Sie hierher. Versuchen wir einmal zu zeigen, wovon ich eben gesprochen habe.

 

(Arvo Pärts „Vater Unser“ für Knabensopran und Klavier (2005), aufgeführt von einem Knabentrio der Freiburger Domsingknaben, am Klavier Arvo Pärt.)

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